Overload, wenn alles zu viel wird

Ein schönes Wochenende, auf das sich alle gefreut haben. Ausschlafen, tun was man mag, keine Termine, erholen…
So war es gedacht, aber bei Autisten ist dies nicht immer so der Fall. Tom trifft sich gerne am Wochenende mit seinem Freund. Meist kommt dieser am Freitag und bleibt bis Samstag Mittag. Dies erfreut uns alle, denn er ist der einzigste Mensch außerhalb unserer Familie, mit dem er sich freiwillig trifft.
Es ist auch so, dass die beiden meist viel Spaß zusammen haben. Sie spielen gemeinsam an der Konsole oder im Garten Fußball, im Sommer geht es in den Pool oder wir grillen zusammen, spielen Brettspiele oder sie reden über das neuste in der Sportwelt….
Aber es gibt auch die Zeiten, wo es anders endet, als gedacht. Es fängt normal an, die beiden haben viel Spaß gemeinsam. Durch das schlechte Wetter können sie nicht raus gehen, also verbringen Sie die Zeit im Haus. Die Stimmung ist gut, auch wenn mein Mann und ich Ihnen sagen, schaltet mal einen Gang runter, denn wir befürchten, dass er wieder mal nicht merkt, wann es zu viel ist. Aber sie haben Spaß, bis er Samstag Mittag geht. Noch ist alles in Ordnung, er scheint müde, aber dies ist normal. Meist legt er sich nach dem Besuch etwas hin oder verbringt viel Zeit alleine in seinem Zimmer um sich zu erholen. So macht er es auch an diesem Samstag.
Abendbrot und anschließendes gemeinsames Fernsehen verlaufen normal. Mitten im Film wird er ruhiger, auf nachfragen, was denn los sei, antwortet er nicht. Ich bin erst verärgert, rede auf ihn ein, will ihn dazu bringen, mit uns zu sprechen. Erkenne nicht, dass er nicht reden kann, er ist verstummt, hat einen Overload, der sich bei ihm aber nicht durch schreien oder schlagen äußert, sondern im Gegenteil, durch verstummen, Schwindel und schwitzen, er ist mit allem überfordert. Klares denken ist dann nicht möglich. Eigentlich ist nichts möglich. Wir müssen dies aber erst erkennen, dann können wir ihm helfen. Legen ihn aufs Sofa und versichern ihm, dass alles gut ist, er zur Ruhe kommen darf, wir ihn lieben und alles verstehen.
Nach 20 min geht es besser. Wir sitzen noch bei ihm, haben ihm erklärt, was passiert ist. Er braucht immer wieder die Bestätigung, dass sein Körper normal reagiert und er bald wieder fit ist. In dieser Zeit ist die sehr groß, dass er sehr krank sein könnte. Dann kann er es nicht erkennen, dass dies „nur“ ein Overload ist und bald vorbei.
Nach weiteren 15 min. begleiten wir ihn hoch in sein Zimmer. Geben ihm eine Wärmflasche, denn nach dem starken schwitzen, ist er nun am frieren, ist erschöpft und müde. Dieses Mal kann er aber direkt und gut einschlafen.
So kommt die Frage,- warum? Warum muss es ihm oft so schlecht gehen? Was können wir dagegen tun? Wie ihn schützen?
Auch merken wir, wie sehr wir doch oft hin und hergerissen sind. Was sollen wir zulassen, aber gleichzeitig damit riskieren, dass er dann keine Schule oder Therapie machen kann? Wir möchten ihm doch nicht verbieten, dass sein Freund kommt oder das er nicht mehr kommen mag, weil wir bestimmen, wann sie was tun müssen.
Wie die Balance endlich finden zwischen, was schönes machen und entspannt Schule oder Therapie machen. Oft schließen sich diese beiden Dinge noch gegenseitig aus. Machen wir etwas Neues, ist dies für Tom aufregend, kostet Kraft, dann braucht er danach Erholung und hat keine Energie für Schule. Legen wir Wert darauf, dass er Schule macht, sollten wir möglichst nur bekanntes unternehmen. Nur dann macht er nichts neues, erlebt nicht viel schönes und lernt nichts dazu.
Wir sind durch die letzten Jahre und den damit verbundenen Stress durch Behörden,- mit den ganzen Arztbesuchen, Psychiatern, Briefe schreiben, mit dem Anwalt austauschen und dem Stress durch die Sonderpädagogin, so geschwächt, dass es nicht viel benötigt, dass wir krank werden. Wie also die wenige Energie die wir für Freizeit über haben nutzen? Besser auf Sicherheit gehen oder doch was riskieren?
Wie oft merke ich, dass wir uns unsicher sind und lieber nichts machen. Dann aber traurig sind, da alles so langweilig ist oder Tom so wenig außerhalb dieses Hauses erlebt. Im Gegensatz zu früher, möchte er heute was unternehmen. Nichts aufregendes, aber gerne mal zum Pizza essen, zu MC oder in die City, sich live ein neues Handy ansehen…, er möchte Zeit mit seinem Freund verbringen, mit ihm zusammen an der Konsole spielen und Spaß haben.
Alle reden davon, dass er doch lernen muss im normalen Leben klar zu kommen, aber keiner sieht, wie schwer dies für ihn ist, wenn er über Jahre überfordert ist. Keinen interessiert es, dass er ja irgendetwas streichen muss um Schule, Therapie und treffen schaffen zu können. Vorallem, wenn soviel Energie durch Behörden verbraucht wird.
Dann wird uns wieder klar, wie anders er doch ist. Wie sehr ihn alles beeinflusst und er darauf direkt oder nach ein paar Tagen reagiert. Wir werden weiter dafür kämpfen, dass es ihm endlich langfristig gut geht und sein wohl an oberster Stelle steht. Behörden haben doch nur ihren Vorteil im Blick. Meist geht es dabei ums Geld oder um Recht behalten.
Es tut uns unendlich leid, dass soviele Familien leiden müssen, weil Behörden zusätzlich noch mehr Stress bringen, obwohl sie doch helfen sollten. IN eine Schule gehen ist doch nicht das Wichtigste. Viel wichtiger ist es doch, dass es ihm langfristig gut geht, er entspannt ist, gerne am gesellschaftlichen Leben teilhaben möchte, er sich wohl und sicher fühlt, sich und sein Leben mag und seinen Weg findet, der zu ihm passt.
Nein, der muss nicht so aussehen, wie das irgendwer meint. Er muss nicht mit vielen Menschen arbeiten gehen, wenn fremde ihn immer stressen. Er muss auch nicht in einem Schulgebäude sitzen um einen guten Schulabschluss zu erhalten und auch nicht sonstige „normalen“ Dinge machen, nur weil einer hinterm Schreibtisch dies sich so ausdenkt.
Er darf und sollte ein selbstbestimmtes Leben führen, wir glauben ihm, wenn er sagt, „Es ist zu viel, ich brauche eine Pause“! Leider glauben dies eben viele Menschen nicht, sondern denken immer noch, sie könnten ihm das beibringen, indem sie ihn dazu nur oft genug zwingen.
Aber genau dieser Zwang raubt die meiste Energie, die dann wieder fehlt, um etwas schönes zu machen. So dauert es sehr lange, bis genügend Energie über ist, um auch so im Leben sich weiter zu entwickeln.
Die letzten Feiertage hatten wir wieder über Tage 10 Leute im Haus. Tom war noch nie mit Freude so viel dabei und hat entspannt mitgemacht. Er hat die Zeit genossen und sich daran erfreut, dass es ihm so gut ging. Der Übergang zurück in den Alltag, war dann sehr schwer. So hat er die Woche Schule durchgehalten, dann das Wochenende mit seinem Freund noch, aber dann kam alles geballt raus. Was ist dann nur wichtiger? Lieber keinen Spaß haben, aber Schule machen? Wer darf dies festlegen? Wir, Behörden oder Ärzte?
Ja, es gibt immer wieder mal einen Overload, dies wird sich auch nie ganz vermeiden lassen, da Tom immer noch nicht selber früh genug bemerkt, wann er eine Pause braucht. Da er bisher außerhalb des Hauses zu viel gesagt bekommen hat, das er doch wenigstens … können und …. machen muss, fällt es ihm immer noch schwer, sich so anzunehmen, wie er ist. Er hat leider noch mehr im Kopf, wie er sein sollte.
Weniger ist aber oft einfach mehr. Wir hoffen, dass wir bald endlich wieder mehr selber bestimmen dürfen, wann er was macht. Dann kann er endlich lernen sich seinen Alltag so einzuteilen, wie er gut für ihn ist.

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